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Südwest Presse Ulm 23. Juni 2017 S. 28

BUS UND BAHN FAHREN ALS MENSCH MIT BEHINDERUNG - EIN TEST

Ein Trip mit Hindernissen im Öffentlichen Nahverkehr

Barrierefreiheit Spontan mit dem Bus nach Ulm fahren? Thomas Geltinger ist skeptisch.
Der 56-Jährige ist auf den Rollstuhl angewiesen. Von Barbara Hinzpeter
"Ich bin gespannt, ob wir das bis heute Abend schaffen", sagt Thomas Geltinger und lacht. Wieso heute Abend? Es ist noch heller Vormittag. Die verblüffte Reaktion amüsiert ihn - nach einer Verabredung zu einem „spontanen“ Ausflug nach Ulm. Auf gut Glück geht es zur Bushaltestelle in der Bahnhofstraße. Die Tabelle mit den Abfahrtszeiten hängt hoch. Aus der normalen Sitzperspektive wäre sie nicht zu lesen.

Geltinger drückt einen Knopf, der Rollstuhl wird höher. „Es gibt schon gute Hilfsmittel“, sagt der gelernte Krankenpfleger. „Aber man muss sie kennen und braucht einen langen Atem, um sie finanziert zu bekommen.“ Um 12.47 Uhr, so der Anschlag, kommt der nächste 59er. Auch das „S“ fällt noch auf: Der Bus fährt nur an Schultagen. Doch in der nächsten Zeile ist einer mit „F“ für „schulfreie Zeit“ aufgeführt, Abfahrtszeit zwei Minuten später. Passagiere wie Bus sind pünktlich. „Nein“, so gibt der Fahrer freundlich Auskunft, eine Rampe habe das Fahrzeug nicht. Außerdem bringe der Bus die Passagiere in den Ferien nur bis zum Bahnhof.

Also mit dem Zug. Unterwegs zur nahe gelegenen Station stellt Geltinger erfreut fest: Beim „Jägerhaus“ sind Bauarbeiten im Gang. Der Randstein wird in der Kurve abgesenkt. Erst vor wenigen Tagen hat der Rollstuhlfahrer die Problemstelle - zum wiederholten Male - bei der Bürgerfragestunde im Gemeinderat angesprochen. Menschen mit Handicap bleibe nichts anderes übrig, als ständig auf die Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, sagt der gebürtige Neu-Ulmer.

Seit sieben Jahren lebt Geltinger in Langenau und hat mit einigen Mitstreitern schon viele Verbesserungen angeregt und auch erreicht. „Menschen ohne Behinderung nehmen die Probleme ja nicht wahr.“ Deshalb wäre es seiner Ansicht nach sinnvoll, bei Planungen auch Bürger mit Handicap einzubeziehen. Dass es dabei auch zu Konflikten kommen kann, macht Geltinger am Beispiel der Randsteine auf dem Weg zum Bahnhof deutlich: Sie sind zwar abgesenkt, aber nicht eben mit der Straße. Für den Elektrorolli mit seinen breiten „Traktorreifen“, wie er sie nennt, kein Hindernis, für leichtere aber schon.




Stationen der Reise von Thomas Geltinger mit Bus und Bahn von Langenau nach Ulm - eine Fahrt mit Hindernissen und freundlichem Personal. Am Ende ging’s dann doch.
© SÜDWEST PRESSE / Barbara Hinzpeter
Fotos: Barbara Hinzpeter

Optimal dagegen ist der Überweg direkt vor dem Bahnhof für alles, was Räder hat. Aber er entspreche nicht der EU-Norm für barrierefreie Übergänge. Die fordere im Interesse der Sehbehinderten einen drei Zentimeter hohen Absatz. „Ich weiß, dass man es nicht allen recht machen kann“, sagt Geltinger. Er wünsche sich, dass die unterschiedlichen Gruppen nicht gegeneinander, sondern miteinander schaffen. Das ist auch ein Anliegen der neuen Initiative „Blickwinkel Inklusion“, die er jetzt zusammen mit Gleichgesinnten ins Leben gerufen hat.

Unterdessen ist er am Bahnhof angelangt. Vorbildlich barrierefrei mit einem Aufzug, über den Gleis 2 bequem zu erreichen ist. Für Menschen mit viel und schwerem Gepäck, Reisende mit Rollatoren, Kinderwagen oder Rollstuhl. Für spontan Reisende allerdings ist am Gleis Endstation: Zwischen dem Zug und dem Bahnsteig klafft ein Graben - ebenso unüberwindbar wie die Treppen zum Zug. Eine telefonische Anfrage beim Serviceportal für Reisende mit Handicap ergibt: Damit die Mitnahme eines Elektrorollstuhls problemlos möglich ist, sollte die Fahrt schon bis zum Vorabend angemeldet werden. Also ein weiterer Test in den nächsten Tagen (siehe nebenstehenden Bericht) und eine weitere Verabredung für einen neuen Ausflugsversuch mit dem Bus am Nachmittag. Mit leichter Verspätung trifft der Linienbus an der Haltestelle ein. Obwohl Geltinger für eine weitere Verzögerung sorgen wird, bleibt Fahrer Gergö Kozik gelassen. Er steigt sofort aus und klappt die Einstiegshilfe herunter. Thomas Geltinger kann’s wenig später kaum fassen, „dass ich jetzt wirklich im Bus sitze“.

Vom Bussteig in der Schillerstraße kann Geltinger recht bequem Richtung Innenstadt rollen, woeersich am Abend zum Stammtisch für MS-Kranke trifft. Unterwegs fällt auf, wie viele Menschen in der Stadt mit Rollstuhl oder Gehhilfen unterwegs sind. „Wir sind eine ziemlich große Randgruppe“, sagt Geltinger. Er ist überzeugt: „Inklusion beginnt im Kopf.“ Zwar habe sich schon viel getan, aber es werde noch einige Zeit dauern, bis Menschen mit Handicap ebenso selbstverständlich reisen können wie Menschen ohne Einschränkung.

Langenau. Am Abend ist alles in Butter: Die Bahnfahrt mit dem E-Rolli ist - wie empfohlen - am Tag zuvor telefonisch angemeldet und per E-Mail bestätigt. Doch Thomas Geltinger hat Zweifel. Er stolpert über Formulierungen wie „Hublift nein“ und „Rollstuhlstellplatz nein“ in der elektronischen Nachricht. Um 19.39 Uhr fragt er höflich per E-Mail bei der Mobilitätsservicezentrale nach, was das bedeutet. Um 19.49 Uhr erreicht ihn eine Nachricht, dass seine Reise storniert sei.

Für den 56-Jährigen steht damit fest: Alles ist wie immer, die Fahrt ist geplatzt. Trotzdem lässt er sich auf einen weiteren Versuch ein - auf einen erneuten Anrufbei der Mobilitätszentrale am nächsten Morgen. Der Mitarbeiter dort macht den Verursacher sofort aus: ein Softwarefehler. „Wenn wir etwas falsch eingeben, bekommt der Fahrgast automatisch die Nachricht, dass die Anmeldung storniert sei“, erklärt er. Das sei eine Falschmeldung, so etwas passiere öfter, bedauert der Mitarbeiter der Servicezentrale. „Sie sind nicht der Einzige, den das verwirrt.“ Die Reise könne jedoch getrost angetreten werden.

Ungläubig schüttelt Thomas Geltinger den Kopf, ist aber bereit, den Test fortzusetzen. Die Spannung steigt, als der Zug in den Langenauer Bahnhof einfährt. Die Türen öffnen und schließen sich. Es sieht eindeutig so aus, als werde der Zug gleich ohne den Rolli weiterfahren. Doch dann erscheinen zwei Mitarbeiterinnen der Bahn an der wieder geöffneten Waggontür und legen eine Rampe an. Von einer angemeldeten Fahrt habe sie nichts gewusst, sagt die junge Zugbegleiterin. Auch die Lokführerin sei nicht vorbereitet gewesen, sondern habe gehandelt, als sie den Rollstuhl am Bahnsteig sah.

Wie sich dann herausstellt, hatte die Zentrale die Bediensteten so kurzfristig benachrichtigt, dass die nichts davon wussten. Letztlich war es ihrer spontanen Hilfsbereitschaft zu verdanken, dass Thomas Geltinger tatsächlich an diesem Tag „zum ersten Mal seit 2010“ mit der Bahn von Langenau nach Ulm fahren konnte. Fast alle Regionalzüge auf der Strecke könnten über eine Rampe erreicht werden, erklärt die Zugbegleiterin. Nur noch wenige alte Ersatzfahrzeuge seien dafür nicht geeignet. Thomas Geltinger hört es gerne. Jetzt muss halt nur noch die Software in der Zentrale zum Laufen gebracht werden - oder der Langenauer wird wieder spontan zum Bahnhof rollen und sein Glück versuchen.


In Langenau ist jetzt auch die SWEG zuständig und somit gibts hier keine großen Probleme mehr mit der Bahn.
bwegt - Mobilität für Baden-Württemberg